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AutorenbildSylvia Thiel

Perú - Oktober 2019

Aktualisiert: 26. Okt. 2019

Eine Fahrt mit dem Nachtbus (14$) von Loja bringt mich nachts über die Grenze in die Stadt Piura in Perú. Der Grenzübertritt kommt mir wie eine Nacht- und Nebelaktion vor:


Der Reisebus hält vor einem schäbigen Kontrollhäuschen. Alle steigen aus und stellen sich im Dunkeln in die Schlange, um sich den Ausreisestempel zu holen. Dann führt der Weg zu Fuß über eine spärlich beleuchtete Brücke, unter der ein tosender Fluss fließt, zu einem genauso brüchigen Kontrollhäuschen auf die peruanische Seite. Das vermute ich mal, ein Schild sehe ich nirgends. Der mürrische Beamte nimmt unsere Daten, Gesichtsfotos und Fingerabdrücke in seinen museal anmutenden Computer auf. Der Zollbeamte gibt sich gar nicht erst die Mühe aus seinem schläfrigen Zustand ein Geheimnis zu machen und winkt alle durch. Gebühren werden auf beiden Länderseiten nicht eingefordert.


Der Bus ist inzwischen zu uns herübergerollt. Wir steigen ein, der Busfahrer kennt und zählt seine Schäfchen und weiter geht es nach Piura, die erste Stadt nach der Grenze.


Da ich gar nicht vorhabe, in dieser Stadt zu bleiben, steige ich am Terminal in den unmittelbar nebenstehenden Bus nach Chiclayo (5$), auf den mich eine peruanische Passagierin aufmerksam macht. Wir kommen ein wenig ins Gespräch. Nach einer dreistündigen kurzweiligen Plauderfahrt, hilft mir Marisa schließlich ein Hotel in einer sicheren Gegend zu finden, in das sie und ihr Mann, der sie mit Auto erwartet, mich dann auch noch hinfahren. Es gibt nichts Interessantes von dieser Stadt zu erzählen, obwohl es rundherum einige Sehenswürdigkeiten gibt. Alles nicht so meins. Ich beschließe am nächsten Tag weiter südlich zu ziehen. Es hat sich noch kein altes Wohlgefühl eingestellt.


... und wird es auch nicht. Meine Reise hinunter entlang der Küste von Perú wird eine ernüchternde und schmerzliche Erfahrung.


"Cusco ist nicht Lima, die Berge sind nicht wie die Küste.", sagte mir mal ein guter Freund in Berlin, der sich länger in diesem Land aufhielt. Ich verstehe nun, was er meinte.


Während ich damals in den Bergen rund um Cusco und am Titicacasee in Puno die überall spürbare und sichtbare traditionelle Lebensweise bewunderte und der spirituelle Zauber des Machu Picchu mich einst inspirierte tiefer in diese Kultur einzutauchen, traf ich je weiter ich die Küste von Nordperú hinunter reiste auf die moderne Gesellschaft Perús, die ihre luminöse Vergangenheit nicht mehr kennen und schätzen wollte. Ich erlebe zunehmend eine Art von arroganter Mentalität, Neid und eine zunehmende Betrugskultur den Gästen, der "reichen" Gringo-Welt gegenüber, die mich betroffen gemacht und auch getroffen hat. "Estoy triste."


Aber zunächst soll das Gute aus meinem Herzen Sprache finden...

Huanchaco - Trujillo


Zunächst finde ich Huanchaco, einen kleinen Badeort und vor allem auch Surfparadies etwa 15 km nördlich von Trujillo. Ich bleibe gut 10 Tage hier. Surfen wird irgendwie zum Thema...ich kann es zwar nicht, ich mag gern zusehen.

Da keine Hochsaison ist, finde ich das ausgesprochen attraktive Hotel Los Estoleros direkt am El Boqueron, der Strandpromenade dieses kleinen Ortes, das mich mit mit einem so fantastischen Blick auf die tosenden Wellen des Pazifiks verzaubert. Zum Hotel gehören ein Restaurant mit betont maritimer Küche und ein Wäscheservice. Martin, der Besitzer bringt mir den Kaffee persönlich auf die oberste Terrasse, wo ich bei gutem Netz ausgiebig schreiben kann.

Und bei angenehmen Strandwetter und lauen Temperaturen fließen die Buchstaben und Wörter so flink dahin. Ich fühle mich hier gut beschützt.

Huanchaco hat eine Menge, wenn auch ein bescheidenes Urlaubsfeeling zu bieten. Es ist nicht nur ein Surferparadies schlechthin, mehrere Surfschulen haben exzellente Angebote und geduldige einheimische Surflehrer, die viel Spaß versprechen. Aber auch Vorsicht ist geboten. Beim Antlitz eines "Gringos" leuchten schnell auch die Dollarzeichen in den Augen der smarten Surflehrer, die den Preis nach oben anpassen.


Ganz besonders sehenswert sind die kleinen Fischerboote aus Schilf, die "caballitos de tatoha", die noch per Hand gefertigt werden in früherer Fischertradition der Moche-Kultur und die auch jeden Morgen, begleitet von einem Schwarm von Pelikanen aufs Meer hinausfahren und in alter Manier in Fischernetzen ihren Fang machen. So manch ein Besucher traut sich auch mitzufahren und es klappt besser als gedacht.


Im Dorfkern befindet sich in die sandigen Felsen der Steilküste gebaut die katholische Kirche, deren Aussichtsplattform einen Rundblick über den Ort ermöglicht. Natürlich hat selbst diese kleine kirchliche Gemeinde mit ihrer kolonialen Kirche der Papst im vergangenen Jahr mit seinem Besuch geweiht, was die immer zur Plauderei aufgelegten Einwohner jedem Besucher mit Stolz erzählen. Ein älterer Herr fragte mich am Strand nach meiner Herkunft, zeigte sich freundlich interessiert und lädt mich ein mit den netten Worten:

"Huanchaco es tuyo ... disfrutelo." (Huanchaco ist deins. Genieß es!)


Am Wochenende füllt sich der Strand rund um die "Muelle", der Seebrücke, meist mit einheimischen Ausflüglern der nahen Stadt Trujillo, die gern in den Fischrestaurants entlang des Boqueron, der Strandpromenade einkehren.


Unweit von Huanchaco sieht man über ein Terrain von fast 28 Quadratkilometern , die Ruinenstadt Chan Chan, die zu den gefährdeten UNESCA- Weltkulturgütern zählt. In Blütezeiten, etwa um 1300, lebten in dieser aus Lehm gebauten und sonnengetrockneten Gebäuden bestehenden Hauptstadt des Chimú-Volkes bis zu

60 000 Menschen. An der Spitze dieses Reiches stand der Monarch gefolgt von den Priestern, eine obere Schicht, die sehr wohlhabend war. Das zeigen kunstvolle Funde aus Gold, Silber und Keramik, die man im Museo de sitio Chan Chan besichtigen kann.

Es regnete so gut wie gar nicht in dieser Region, weshalb in großartiger Ingenieursleistung ein ziemlich ausgeklügeltes Wasser- und Kanalisationssystem gebaut wurde, welches die Stadt mit dem Wasser des ferneren Flusses Chicama, dem Meer und dem Grundwasser leitete.


2016 fand man bei Ausgrabungen ein Massengrab von Kindern, Alpakas und Lamas, die , so vermutet man, in einer furchtbaren Trockenzeit, die wohl dem El-Niño- Wetterphänomen ähnelte, rituell geopfert wurden, um von dem Gott der Fruchtbarkeit Regen zu erbitten.



Das raffinierte Wassersystem wurde später auch zur Schwachstelle bei der Eroberung dieser Stadt. Die Inkas wurden dieser Stadt mächtig, indem sie die Wasserzufuhr kappten, bis sich die Stadt schließlich geschwächt ergab. Dennoch verschwand Glanz und Ruhm dieser Stadt bald, da die Eroberer mehr Interesse an ihrer Gründerstadt Cusco fanden. Die Inka- Könige zerstörten die Stadt nicht. Das vollendeten dann 1532 die spanischen Eroberer unter Francisco Pizarro, die gierig nach dem Gold und Silber griffen, das in den schmuckvollen Palästen und Festsälen noch die langen Fassaden und Wände schmückte und dabei viele Kostbarkeiten zerstörten.


Das Wetterungeheuer El Niño, das in einem Rhythmus von etwa sieben Jahren Regenstürme mit sich bringt, hat weite Teile der Lehmbauten abgetragen oder weggeschliffen. Bleibt zu hoffen, dass der Rettungsplan der UNESCO für die gut erhaltene Ruinenstadt gelingt. Ein Spaziergang durch das weitläufige Gelände ist es auf jeden Fall wert.


Am nächsten Tag treffe ich "Victor", einen Surfista, der am Boqueron vor seiner Surfschule neben meinem Hotel sitzt und auf willige Surfanfänger wartet und auch sonst sehr neugierig auf die Besucher des Ortes ist. Er plaudert mit mir über Dies und Das sehr gewandt in Englisch und lädt mich später zum Weiterplaudern auf ein kühles Bier ein. Mein verhängnisvolles Eingeständnis. Er begleitet mich in den nächsten Tagen manchmal bei Ausflügen in die Umgebung und später nach Trujillo und Lima mit weiten geschickt und betrügerisch um Geld bettelnden offenen Armen.

Trujillo, die nächstgelegene Großstadt, ist laut und staubig und der ständig nervende Hupverkehr hier kaum zu ertragen. Das historische Stadtzentrum befindet sich rund um den Plaza de Armas. Es ist schnell zu besichtigen und auch die nächsten Tage zieht es mich selten hierher, vielleicht um einige Sachen wie ein Busticket zu besorgen oder günstigere Einkäufe zu machen. Ich mag den hektischen Alltag dieser Stadt überhaupt nicht. Es ist nicht nur von der architektonische Bauweise (die gar keine ist!), sondern auch von der allseits geduldeten kriminellen Lautstärke eine unsympathische Stadt, und ja nicht die erste Stadt entlang der Küste, die auf mich so wirkt.


Caballitos de paso
Caballitos de paso

In der Nähe von Trujillo befindet sich ein Reitstall, der manchmal traditionelle Pferd- Tanz- Vorstellungen anbietet... vor meistens wenig, aber begeisterten Publikum. Es haut mich auch nicht gerade um.


Nicht jedes Angebot der Begleitung zu einem "ganz besonderen Event" eines Peruaners ist wirklich gut gemeint.

Meistens bezahlt man alles... auch den Eintritt der Begleitung...Diese bezahlten Gefälligkeiten, die mir schon in Ecuador begegneten, fangen mich an zu nerven!

Aber später mehr...






Südlich von Trujillo liegt der lange Sandstrand Salaverry, wohin ich einen Ausflug mache, weil der "hombre del mar", der surfista "Victor", so sehr davon schwärmt. Es ist ein kleiner Fischerhafen, an deren einziger großer Pier auch ab und zu Kreuzfahrtschiffe aus aller Welt ankern und von den Einheimischen gern bewundert werden.

Ein kläglicher Anblick eines vom Klimawandel bedrohten Meeres, das auf den Strand zurollt und ihn mehr und mehr verschlingt.


Die kleine Bootstour durch den Hafen ist kurz und eigentlich ernüchternd für mich, wenn ich in das dunkle, verschmutzte Wasser schaue, das an einigen Stellen den Müll trägt und vom Meer langsam an den Strand angeschwemmt wird. Auf rostigen und ziemlich ramponierten Fischerbooten sitzen riesige Pelikane. Aber das sehen meinen begeisterten einheimischen Mitfahrer eher gelassen und nehmen kaum und schon gar nicht kritisch Notiz davon.

Der sandige Strand enthält feinen Goldstaub, der in der Sonne funkelt und entlang der felsigen Strandmole gibt es reichlich Krabbeltiere zu beobachten. Mit einer sehr eigenartigen, aber scheinbar ganz gut funktionierenden Technik entzieht ein Fischerpärchen dem schlammigen Meeresboden eine Art Wattwürmer, die sie zum Fischen bräuchten, so erzählen sie mir.


Letztendlich bin ich 10 Tage in diesem so ruhigen und mir so familiär erscheinenden Badeort Huanchaco geblieben. Die Leute sind so gastfreundlich, ehrlich neugierig auf ihre Besucher und immer hilfsbereit, zumindest schien es mir so. Nun bin ich mir nicht mehr sicher. Schließlich bin ich eine Gringa. Gringo = dinero!



Das Meer mit seinen stets rauschenden hohen Wellen wiegt mich jeden Abend in den Schlaf, tröstet mich in meiner Sehnsucht nach ein bisschen Heimat und meinen Kindern, die gerade in Südafrika reisen und noch weiter weg erscheinen.

Die Sonnenuntergänge weit draußen sind die schönsten, die ich je gesehen habe.

In meinem Hotel fühlte ich mich endlich in innerer Ruhe angekommen auf der langen Reise. Leider kreuzen sich auf manchen Wegen Begegnungen, die diese Glückseligkeit und viel mehr zerstören ohne jeden Skrupel...


Victor, ein Surfista aus dem Ort, der mich die ganzen Tage mit dem mir so bekannten schwärmenden Singsang für blonde und blauäugige Chicas aus der Gringowelt begleitet, folgt mir nach Lima. Ich lasse es zu, warum, weiß ich nicht. Vielleicht, weil mir vor lauter Glück auf meinen Reisen noch nie etwas passiert ist und nichts passieren konnte?


Lima - das Scheinbild einer Hauptstadt


Ich überlasse es diesmal euch über die Geschichte dieser kolonialen Stadt zu lesen.


Als ich in Lima eintraf, im Lichterglanz des Abends, erschien vor mir ein anderes, reiches, ausladend modernes, scheinbar weltoffenes Perú, das sich bisher bei all meinen Reisen vorher und nun entlang der Küste so mir niemals gezeigt hat. Nicht das es mir nicht gefiel. Es erinnerte mich beim ersten Anblick an mein Zuhause Berlin, an meine Kultur. Es war mir vertraut, aber zugleich fremd, auf keinen Fall peruanisch, nicht authentisch, trügerisch, nicht einladend, aber auch nicht ausladend, protzend und protzig, in jeder Hinsicht schrill (er)leuchtend.


Lima widerspiegelt in Nichts die ursprüngliche, heilige und traditionelle Inka-Kultur. Traditionelle Trachten, jemand der Quechua spricht? Nada y nadie! Hier findet sich nicht mehr diese Harmonie und Bescheidenheit des indigenen Lebens, das der Natur und den Mitmenschen egal welcher Herkunft Achtung erweist, sich solidarisch zeigt. Kein spiritueller Zauber, verschwunden die Ruinen und Spuren des Inkareiches. Alles scheint wie ausgelöscht ...vermarktet, kaufbar nur noch in den zahlreichen und gigantischen Markthallen, den Mercadores Artisanales in der Nähe des Parque Kennedy. Die Avenida Petit Thouars scheint gepflastert von diesen Hallen auf beiden Seiten. Supermärkte, Starbucks, McDonald und Co. Surfen, Paragliding, Halloween-Partys exklusive Shoppingmalls und Barfeeling. Den Tagestouristen wird es gefallen.


Hier einige meiner besseren Erinnerungen von Lima...


... vom schönen Malecon in der Nähe des schicken Einkaufscenters Larcomar, hoch

über den Felskliffen. Auch hier in Lima trifft sich die Surferwelt.

... von Barranco, dem Stadtviertel der reichen Oberschicht Perús... Auf den gigantischen Betonbau der Hochschule für Ingenieurwesen ist man hier tatsächlich stolz!

... von einigen ungewöhnlich schönen Gassen und kleinen versteckten Plätzen, die ich bei den vielen Spaziergängen im Stadtviertel Miraflores unweit des Meeres entdecken konnte.

... von andiner Malerei und Kunst, deren Farben und traditionelle Motive mich immer wieder faszinieren und deren Anblick ich gern genieße.

... vom Parque Kennedy, dem Hotspot von Miraflores in dem sich alle, Touristen und Limeños, zum Tanzen, Musizieren, Malen und einfach nur Genießen zusammenfinden.

...vom Centro Histórico um den Plaza de Armas, das vor kolonialem Glanz einst strotzte und wo nun an manchen Häuserfassaden der Putz bröckelt und bedauerlicherweise wenig Geld in die Erhaltung und Restaurierung der historischen Bauten fließt... verstaubte und marode Kolonialarchitektur, dass manchmal mein Herz weint!


In Lima flog der "Victor"- Betrug auf. Er hat mich trickreich und skrupellos um eine gute Summe Geld bestohlen und verschwand. Als ich zu mir kam, ging ich zur Polizei, um Anzeige zu erstatten. In meinem Land wäre dieser Fall schnell aufgeklärt gewesen.

Nicht in Perú, an deren Betrugs- und Raubkultur sich alle behördlichen Ebenen und gesellschaftliche Schichten beteiligen und stillschweigend hinnehmen, erst recht, wenn es einem Gringo passiert. Reichtum wird hierzulande ungefragt und anders verteilt.

Geldbetrug oder Anzeige bei der Polizei... ich weiß nicht, welches dieser beiden Erlebnisse schockierender war. Ich brauchte mehrere Tage, um mich zu fassen und fühlte mich in Perú nur noch unglücklich, vor allem aber auch nicht mehr sicher.


Mehr dazu in meinen "Reisegedanken". Schreiben hilft manchmal, diese Dinge zu begreifen.


Ende Oktober verlasse ich Lima und damit Perú ... erleichtert, tief enttäuscht und unwiderruflich für immer. Aber selbst das und was die Welt von dem tiefgläubig katholischen Land hält, lässt die Peruaner ziemlich ungerührt.


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